Sie gilt als die schwierigste Abfahrtsstrecke der Welt – die Streif in Kitzbühel. Erst bin ich sie hinunter gefahren und dann rauf gelaufen.
Ein paar Wochen nach dem Hahnenkamm Rennen, dem berühmtesten und härtesten alpinen Abfahrtslauf auf Skiern, stehe ich am Starthäuschen der nicht mehr präparierten Streif. Meine Skispitzen ragen über die vereiste Startkante. Ungewöhnlich ist, dass heute Abend dieser Startpunkt mein hart umkämpftes Ziel, nach 3,3 km und 860 Höhenmetern, beim Vertical Up sein wird.
Ich stoße mich ab, fahre zwischen hüfthohen Buckeln bis zur Kante der Mausefalle und springe in die Tiefe. Unter mir blankes Eis. Ich beschleunige nach harter Landung auf über 100 km/h bis zur Kompression. Tief in der Hocke werde ich unaufhaltsam in die Piste gedrückt, während mich die Fliehkräfte nach rechts schieben. Hier hilft nur gegenhalten was das Zeug hält!
Im Steilhang wechseln sich Eis und Buckel rasant ab. Meine Ski finden kaum Halt und ich versuche nicht in die berüchtigten Fangnetze zu fliegen, denn den Steilhang fährt man oder fällt man. Letzteres ist keine gute Option. Plötzlicher Nebel lässt es nicht zu, dass ich mit der „idealen“ Geschwindigkeit in die Alte Schneise komme. Ich kann die Hand vor Augen nicht sehen und nutze weder in der Alten Schneise, am Seidelalmsprung noch an der Hausbergkante die beschleunigenden Sprünge. Denn auch hier herrscht überall Genick brechender Buckelalarm! Beim legendären Hahnenkammrennen gibt es hier nur pures Eis. Jetzt noch die Traverse, links rechts Kombination und Schuß auf der Zielgeraden! Ich freue mich nach einer astreinen Buckelpisten-Streif im Ziel zu sein.
Ein paar Stunden später, stehe ich in kurzer Hose zum vierten Mal am Start des Vertical Up. Bewaffnet mit Spikes, Stöcken, Helm und Stirnlampe geht es auf 3.3 Kilometer, 860 Höhenmeter entgegengesetzt die original Streif hinauf.
Der Startschuß fällt und ich sprinte in die Dunkelheit. Bis zur Traverse muß ich so viele Plätze wie möglich gut machen, denn hier ist es kriegsentscheidend, sich von der Masse zu lösen. Jeder der vor mir läuft, kann mich auch mitreißen, weil wer hier fällt, donnert normalerweise wie ein Bob ins Tal. Auch wenn mein Kopf sagt „langsam“ und meine Oberschenkel und Lunge in der Traverse wie Leuchtfeuer um die Wette brennen, gibt es hier keine Gnade. Das Brennen kenne ich von der Abfahrt und spätestens jetzt weiß ich, der Vertical up hat begonnen.
Wie Glühwürmchen schlängeln sich die Lichter der Stirnlampen den Berg hinauf. Bei jedem Schritt ramme ich die Zacken meiner Spikes in die harte Piste. Dennoch werde ich von einem Mitstreiter, der durch die Menge rutscht, unsanft von den Beinen geholt. Adrenalin schießt durch meinen Körper. Glück gehabt !!! Nichts passiert, ein Buckel bremst mich. Ein hoch auf nicht präparierte Pisten. Es ist immer eine Frage der Perspektive.
Nach der Hausbergkante renne ich bis zur hell erleuchteten Seidelalm. Hier entstand 1966 die Idee zum Alpinen Ski-Weltcup. Dankbar nehme ich den warmen gereichten Tee entgegen, bevor es über die mir wohlbekannten Buckel am Seidelalmsprung und der Alten Schneise geht.
Kurz vor dem Steilhang treffe ich auf Michael Werlberger, Kitzbühler und Fotograf des Vertical Up, auf Skiern und würde am liebsten mit ihm tauschen, denn im Steilhang offenbart die Streif ihr wahres Gesicht. Steil, hart und unerbittlich. Egal ob beim Abfahrtsrennen oder beim Vertical Up! Es ist so steil und technisch, dass ich mit dem Oberkörper über der Piste hänge. An Laufen ist gar nicht zu denken, kriechen trifft es eher.
Von der Kompression spüre ich diesmal nichts. Dafür meine Beine, Waden und Atmung um so doller. Ordentlich ausgepumpt erreiche ich die Mausefalle. Ich quäle mich 85% spiegelglattes Gefälle der steilsten Abfahrt der Welt hinauf und habe in Laufschuhen noch mehr Respekt davor als auf Skiern, auch wenn ich mich hier durchaus frage, was bekloppter ist.
Egal ob rauf oder runter, die Streif erfordert Willen, Ausdauer, Kraft, Technik und ganz viel Mut. Fazit: Eine Hammer harte Piste, egal in welche Richtung!
Lautstark feuern Moderator und hunderte Zuschauer die völlig erschöpften und ausgepowerten Sportler auf den letzten Metern bis ins Ziel an. Das motiviert mich so sehr, dass mich ungeahnte Kräfte den Berg hoch tragen und ich nach 50 Minuten überglücklich über die Ziellinie des Starthäuschens renne. Der Kreis schließt sich für mich an der vereisten Schwelle. Meine Schlacht am Hahnenkamm ist für dieses Jahr erfolgreich geschlagen!
Mit einem Grinsen im Gesicht und gleich schnell wie vor drei Jahren, weiß ich: I´ll be back for „One Hell of a Run“
Danke an des Vertical Up Team & Helfer für ein grandioses Rennen und Michael Werlberger für die besonderen und tollen Fotos!
Wer nicht selber die Streif rauf laufen möchte, der bekommt einen abwechslungsreichen Eindruck im folgenden Vertical Up Video: