Vom tropischen Regenwald hinauf zum ewigen Eis.
Als mich Anfang Januar 2001 mein Photodozent und zweifacher Olympiasieger im 20km-Gehen, Peter Frenkel fragt, ob ich Lust hätte mit Ihm und einer 16 köpfigen Sportlertruppe den Kilimanjaro zu besteigen und Photos zu machen, muß ich nicht zwei Mal überlegen und sage voller Vorfreude zu.
Keine 4 Wochen später sitze ich am 2. Februar im Etiopian Airlines Flieger von Frankfurt zum Airport „Kilimanjaro“ in Tanzania in Afrika. Auf dem Weg zum Kilimanjaro haben wir kurz freie Sicht auf unser schneebedecktes Ziel und sind völlig beeindruckt und voller Vorfreude.
Heftige Schneefälle am Kilimanjaro zwingen uns unsere Besteigung um 1 Tag zu verschieben. Wir nutzen die Zeit um am Sonntag eine Tagessafari durch den Arusha Nationalpark zu machen und Photos von Giraffen, Wasserbüffeln, Flamingos, Affen, Nilpferden und Raubvögeln zu schießen und die Tiere in ihrer natürlichen Umgebung zu beobachten.
1. Etappe: MARAMGU-GATE (1.840m) – MANDARA-HUT (2.720m)
Bevor die 1. Etappe am Montag morgen beginnt, tragen wir uns ins Besucherbuch des Nationalparks ein. Hier wird unsere Ausrüstung und das Gewicht unserer Taschen kontrolliert. Bei 32 Grad geht es 4 Stunden lang durch den immergrünen tropischen Regenwald bis zur MANDARA -HÜTTE (2.720 m). Begleitet von 6 Führern, Köchen und 32 Trägern setzt sich die Karawane auf befestigten Wegen in Gang. Den Rucksack mit der nötigen Bergausrüstung und Verpflegung trägt jeder Teilnehmer selbst. In meiner Flecktarn Uniform der Gebirgsjäger bin ich im dichten Blätterwald so gut getarnt, das ich 2 Meter neben dem Weg nicht zu erkennen bin. Zur besseren Höhenanpassung steigen wir, nachdem jeder sein Nachlager in der Mehrbetthütte bezogen hat, noch zum Maundi-Nebenkrater auf. Die Sicht auf die Berge und auf die umliegenden Kaffe- und Bananenplantagen ist traumhaft. Starkregen und die nachtaktiven langhaarigen White Culubus Affen auf dem Schrägdach lassen uns in der ersten Nacht kaum ein Auge zu tun.
2. Etappe: MANDARA-HUT (2.720m) – HOROMBO-HUT (3.720m)
Bei strahlendem Sonnenschein geht es auf die 2. Etappe. Aus dem Bergnebelwald führen uns schmale Pfade auf die offene Heidelandschaft. Die Vegetation ändert sich schlagartig. Büsche, Gräser und einzelne Riesenlobilien bestimmen das Landschaftsbild und ermöglichen das erste Mal einen freien Blick auf den schneebedeckten Kilimanjaro. Beeindruckend! Gute 6 Stunden benötigen wir für den Aufstieg bis zur HOROMBO-HÜTTE (3.720 m). Die Träger sind auf einer Nebenroute lange vor uns am Ziel und haben das Essen im Gemeinschaftshaus für uns hergerichtet. Danach genieße ich einen wunderschönen Sonnenuntergang bei einstelligen Temperaturen in 3.700 m Höhe. Auch in dieser frostigen Nacht ist an Schlaf kaum zu denken und so drehe ich mich stundenlang im Schlafsack hin und her und meine Gedanken kreisen ständig um den Berg. Ob das Wetter eine Besteigung zulassen wird?
3. Etappe: HOROMBO HUT (3.720m) – MAWENZI SATTEL (4.200m) – HOROMBO-HUT
Die 3. Etappe ist ein reiner Akklimatisierungstag. Nach dem Frühstück wird das Wasser abgekocht und wir steigen bei gerade mal 12 Grad auf der Upper Route bis zum Mawenzi-Sattel (4.200 m) auf. Vorbei geht es an den Zebra-Rocks (4.000m). Als ich das erste Mal in meinem Leben die 4.000er Marke überschreite, markiere ich dies mit den Ziffern 4000 aus Steinen, welche ich in den weichen Lehmboden ramme. Vom Mawenzi Sattel hat man einem atemberaubenden Blick auf den Kibo, den schroffen Mawenzi und den Mount Meru. Wir verbringen viel Zeit mit Fotos schießen, in der Sonne liegen und Steinmandal bauen, bevor wir gegen Nachmittag auf die Horombo-Hütte absteigen. Dort kommen uns einige enttäuschte und niedergeschlagene Bergsteiger entgegen, die aufgrund des heftigen Schneefalls und der extremen Bedingungen den Gipfel nicht besteigen konnten. Auf einem Felsen gönne ich mir ein Bier was mir beim Einschlafen helfen soll und lasse meine Blicke über den Horizont und die Tausend-Lichter-Stadt Moshi schweifen.
4. Etappe: HOROMBO HUT (3.720m) – KIBO-HUT (4.703m)
Nach einer kalten Nacht im Schlafsack, einem heißen Tee und Haferschleim auf der Horombo Hütte freue ich mich auf die heutige, etwa 6-7 stündige Etappe. Einige unserer Teammitglieder haben Anzeichen von Höhenkrankheit und Erschöpfung, wieder andere wollen nur bis hier. Somit starten wir etwas dezimiert in Richtung Gipfel. Wir lassen die spärliche Vegetation und den „Last Waterpoint“ hinter uns bevor wir eine weite Ebene von Lavaasche und Geröll durchqueren. Auf dem Schlängelweg zwischen Kibo und Mawenzi kommt man sich vor wie auf einer Mondlandschaft. Karg, unwirklich und immer kälter. Hier wächst absolut nichts mehr. Kurz vor der KIBO Hütte kommt uns ein Rettungsteam im Laufschritt entgegen. In einer umgebauten Schubkarre transportieren sie einen Schwerverletzten ins Tal. Er ist im Geröllfeld unterhalb des Gilman´s Point (5.715 m) kopfüber den Hang hinunter gestürzt. Kurze Zeit später folgt seine Gruppe, die kurz vor dem Gipfel umdrehen musste. Zu viel Sturm und Schnee. Noch vor dem Abendessen baue ich mir aus Ästen und Kordel ein paar behelfsmäßige Schneeschuhe. In einem engen Mehrbettzimmer versuchen wir zu Ruhen, doch wir sind alle so aufgeregt das die Zeit bis Mitternacht nicht verstreichen will.
5. Etappe: KIBO-HUT (4.703m) – GILMAN´S POINT (5.681m) – 2 x UHURU PEAK (5.896m ) – HOROMBO HUT (3.720m)
Um 0:00 Uhr stapfen wir bei Mondenschein und sternenklarer Nacht von der Kibo-Hut (4.703m) in Richtung Gillman´s Point. Bei minus 18 Grad sehen wir im Kegel unserer Stirnlampen unseren gefrierenden Atem. Ein Schritt vor, ein halber zurück arbeiten wir uns kräftezehrend die Serpentinen des Geröllfeldes hoch. Schon nach kurzer Zeit ist mein Trinksystem eingefroren. Die vielen Gehpausen der Gruppe bringen mich aus dem Rhythmus und das langsame Tempo läßt mich langsam frieren. Kurze Gurtrast an der Hans-Meyer-Höhle. Aus gesundheitlichen Gründen kehrt Peter hier um und schafft die Besteigung ein Jahr später. Wir klettern über Felsen und mächtige Gesteinsbrocken um nach keinen 5 Stunden Gilman´s Point auf 5.681 m zu erreichen. Innerhalb von Sekunden entzieht uns der Wind auf dem Grad jegliche Energie. Temperaturen von unter – 27 Grad, Eiswinde und Erschöpfung lassen die meisten Teilnehmer am Gillman´s Point umkehren. Für die die nicht mehr selber entscheiden können, entscheiden die Guides. Besonders bei Verdacht auf Höhenkrankheit!
Bis zum Gipfel steige ich alleine in meinem Tempo vor. Vorbei an meterhohen Seracs folge ich dem Grad in Richtung Gipfel. Bläulich glitzern sie vor sich hin und ich genieße die Ruhe und Einsamkeit. Jeder Atemzug brennt in der Lunge. Meine Schritte werden immer kleiner und die Kälte ist kaum zu ertragen. Daher steigere ich mein Tempo und erreiche nach nur 5:20 Stunden Uhuru-Peak (5.896 m), das Dach Afrikas. Völlig überwältigt und überglücklich sinke ich zu Boden und kann meine Freudentränen nicht zurück halten. Innerhalb von Sekunden frieren meine Wimpern bei knapp – 30 Grad zusammen. Nur mit meinen Händen kann ich diese auftauen. Ich schieße ein paar Bilder mit meiner Spiegelreflex Kamera und schon hat die Kälte die Batterien platt und meine Hände taub gemacht. Mein Blick schweift über den wunderschönen Gletscher, über die 1000 Lichter von Moschi und ein Flugzeug gleitet weit unter mir durch die eiskalte Nacht. Was für ein tolles Erlebnis!
Mir ist so kalt das ich den Grad hinab laufe um wieder warm zu werden. Der gefrohrene Schnee ist glatt und ich könnte Snowchains gebrauchen. Nach etwa 15-20 Minuten gelange ich zum Stella-Pt. (5.730m) wo ein Bergsteiger frierend und erschöpft am Wegesrand hinter einem Brocken hockt. Ich kann ihn dazu bewegen weiter zu gehen und begleite ihn hinauf zum Gipfel des Uhuhru-Peak. Nun stehe ich bei Sonnenaufgang zum zweiten Mal an einem Tag auf dem höchsten Berg Afrikas und genieße den Moment erneut in vollen Zügen.
Der Absteig über den Grad ist faszinierend und anstrengend zu gleich. Die riesigen Seracs schimmern in allen Farben und der schneebedeckte Gipfel brennt sich für immer in mein Gedächtnis ein. Unterhalb des Gillman´s Point habe ich das Glück an der höchsten Weinverkostung der Welt teil zu nehmen, bevor es über das Schotterfeld zur Kibo-Hut geht, wo wir eine kurze Rast einlegen. Erst hier bemerke ich das Blut an meiner Uniform und die Schmerzen von meinen aufgeplatzten Lippen.
6. Etappe: HOROMBO HUT (3.720m) – MARAMGU-GATE (1.840m) – Swimmingpool
An der Kibo-Hut sammeln wir einige Teilnehmer auf und steigen bis auf die Horombo-Hut ab, wo die restlichen Teilnehmer auf uns warten. Nach einer Nach auf 3.720 m beginnt der komplette Abstieg bis zum Gate wo wir unsere Urkunden in Empfang nehmen. Wir beladen die Busse, verabschieden uns von unseren Trägern und Guides und sind in nur wenigen Minuten zurück in der Zivilisation. Nach einem kurzen Besuch auf einem Markt in Moshi stürzen wir uns in den Hotelpool und feiern unseren Erfolg bevor wir Sonntag völlig müde und glückselig die Heimreise nach Frankfurt antreten.